1956 – Die IWC Ingenieur
Die antimagnetischen Legierungen, welche in den letzten Jahren in ungeheurem Ausmaß in der Uhrentechnik Eingang gefunden haben und in der modernen Produktion das Ausgangsmaterial für alle jene Organe der Uhr bilden, von deren Immunität die Gangleistung der Uhr in besonders hohem Maß abhängt, haben einen uralten Traum der Uhrentechnik verwirklicht, einen Traum, der so alt ist wie die Entdeckung des Magnetismus selbst.
Nämlich die weitgehende Unempfindlichkeit unserer Zeitmesser gegen normale Magnetfelder, die uns bis zu einer Stärke von ca. 100 bis 200 Gauß/Oersteds auf Schritt und Tritt im täglichen Leben begegnen können. Diese Legierungen, deren bekannteste heute die Nivarox, Nivaflex und die zahlreichen Berylliumlegierungen sind, werden für Zugund Spiralfedern wie für sämtliche Organe des Echappements, also Ankerrad, Anker, Unruh und Plateau verwendet, und man kann eine Armbanduhr, deren Gangteile aus diesen amagnetischen Legierungen hergestellt sind, in der Tat als praktisch unempfindlich gegen normal starke Magnetfelder bezeichnen.
Anders hingegen war es in den technischen und wissenschaftlichen Berufen, wie etwa in den Arbeitsgebieten der Ingenieure, Techniker, Piloten, Chemiker, Röntgenärzte, Forscher usw., wo eine Uhr täglich großen Magnetfeldern bis zu iooo Gauß/ Oersteds ausgesetzt sein kann, gegen die natürlich selbst unsere heute bekannten, amagnetischen Legierungen machtlos sind. Die Immunität dieser Uhren reichen je nach der Qualität der Spirale, die ja gegenüber magnetischen Einflüssen besonders gefährdet ist, bis gegen 200 Gauß/Oersteds. Dann beginnen sich Unregelmäßigkeiten einzustellen und bei weiterem Ansteigen der magnetischen Kraft bleiben sie stehen.
In zahlreichen Uhrenfabriken und Forschungslaboratorien, so z. B. auch im Laboratoire suisse de recherches horlogères in Neuchâtel, ist man seit langem damit beschäftigt, den Einfluß derartig starker Magnetfelder auf den Gang der Uhren zu studieren und Schutzmaßnahmen dagegen auszuarbeiten, um endlich einmal auch jenen Berufen einen zuverlässigen Zeitmesser zu geben, die bei ihrer Arbeit im Bereich starker Magnetfelder auf genaueste Zeit angewiesen sind. Prinzipiell lassen die möglichen, praktisch ausführbaren Schutzmaßnahmen gegen derart starke Magnetfelder nur zwei Möglichkeiten zu: absolute Immunität gegen Magnetismus durch entsprechende Legierungen oder Absorbtion der magnetischen Kraftlinien durch eine zusätzliche Vorrichtung. Und vor dieses Dilemma gestellt, wird man sich selbstredend für das letztere entscheiden, denn es würde eine außerordentliche Umstellung in der Fabrikation und noch einer gewaltigen Forschungsarbeit der Metallurgie bedeuten, wollte man eine Uhr aus vollkommen unmagnetischem Material produzieren.
Die physikalischen Grundlagen der Absorbtion eines von magnetischen Feldlinien umgebenen Körpers gegen den Einfluß dieser Kräfte schuf der große englische Gelehrte und Naturforscher Michael Faraday (1791-1867). Faraday, der in den Jahren 1824, 1825 und 1828 bis 1831 mit einem Weicheisenring experimentierend den Naturvorgang der Induktion zu ergründen suchte, was ihm am 29. August 1831 auch gelang, hat die Feststellung gemacht, daß im Inneren eines solchen „Käfigs“ keine Feldlinien verlaufen (Abbildung 1).
Abbildung 1
Feldlinienverlauf zwischen den Platten eines geladenen Kondensators. Im Inneren der von einer leitenden Fläche eingeschlossenen Figur verlaufen keine Feldlinien. Dieses „Vakuum“ bezeichnet man als einen feldfreien Raum oder Faradaykäfig
Schon Benjamin Franjdin und Josef Priesterley hatten in dieser Richtung einige Vorarbeit geleistet, als sie mit einer elektrisch geladenen Hohlkugel experimentierend feststellten, daß kleine Korkstückchen außerhalb dieser Kugel an: oder abgestoßen wurden, im Inneren jedoch unbeeinflußt blieben. Auf rein wissenschaftlicher Basis vermochte dies aber erst Faraday zu erfassen, da er als erster die Vorstellung von den magnetischen und elektrischen Kraftlinien entwickelte und dadurch in die Lage versetzt wurde, das Wesentliche aller elektrischen und magnetischen Kräfteeinwirkungen in geometrischer Darstellung der räumlichen Zustände ihrer Wirkungen zu erfassen. Und so nennt man denn heute ein elektromagnetisches „Vakuum“, also einen feldfreien, von einer leitenden Fläche umgebenen Raum, Faradaykäfig.
Rein wissenschaftlich war also die Problematik, eine Uhr gegen magnetische Einflüsse zu schützen, schon seit Faraday bekannt. Technisch jedoch bereitete die Absorbtion der magnetischen Kraftlinien durch einen sogenannten Faradaykäfig besonders in der Armbanduhr einige Schwierigkeit. Um eine vollkommene Wirkung zu erzielen, müßte das Werk gänzlich von einem zusammenhängenden, leitfähigen Mantel aus Weicheisen oder einem anderen, gutleitenden Metall umgeben sein, und dabei besteht die Gefahr, daß die Uhr zu klobig ausfällt.
Die International Watch Co., Schaffhausen (Schweiz), hat diese große technische Schwierigkeit zu lösen vermocht und die erste Armbanduhr geschaffen, die gegen magnetische Einflüsse bis zu 1000 Gauß/Oersteds vollkommen unempfindlich ist. Das Werk ihrer bekannten Automatik ist von einem Mantel aus einer speziellen, sehr leitfähigen Legierung, deren genaue Zusammensetzung die Firma geheim hält, umgeben, der in einem Magnetfeld die leitende Fläche bildet, innerhalb derer sich keine Feldlinien magnetischer Kraftfelder befinden. Die Abbildung 2 illustriert das Gehäuse der IWC Ingenieur im Schnitt, wie sich dieses neue Kaliber sinnvoll nennt. Der magnetische Mantel des „zweiten“ Gehäuses besteht aus einem Deckel 1, auf welchem das Zifferblatt liegt, dem Ring 12, der 4as ganze Werk umschließt und zugleich die Passung in das eigentliche Gehäuse bildet, und dem Boden 14, der wie der Deckel 1 in einem Falz des Ringes 12 gesprengt ist und wie ein normaler Gehäuseboden abgenommen werden kann.
Abbildung 2
Querschnitt des Gehäuses der IWC Ingenieur
Neben dieser wertvollen Schutzeinrichtung gegen magnetische Einflüsse besitzt das neuartige Einschalungssystem der IWC Ingenieur eine sehr wirksame Abdichtung gegen Wasser und Feuchtigkeit. Die einzelnen Details sind aus dem Querschnitt des Gehäuses in Abbildung 2 ersichtlich. Der Boden 13 des Gehäuses, welches aus Gold und Stahl hergestellt wird, besitzt den üblichen Schraubverschluß. Zwischen Deckel und Gehäuse befindet sich der obligatorische Dichtungsring 11. Ein zweiter Dichtungsring 10 ist zwischen dem Gehäusemittelteil und dem Ring des „Faradaykäfigs“ 12 eingefügt, so daß der IWC Ingenieur von doppelter Seite her doppelt geschützt ist. Die Dichtungsringe bestehen aus einem elastischen, säurefesten Kunststoff und zeichnen sich durch außerordentliche Widerstandsfähigkeit gegen Zug und Druck, Temperaturwechsel und Säuren aus. Die in den Laboratorien der IWC durchgeführten Versuche haben ergeben, daß dieses Material ohne weiteres Temperaturen von -30 Grad bis +90 Grad Celsius zu ertragen imstande ist. Doppelt gesichert ist auch der Kronenabschluß, und zwar durch einen ersten Dichtungsring im Kopf der Krone 6 und einen zweiten Ring 9 zwischen Kronenhals und Gehäusemittelteil. Hinzu kommt noch ein armiertes Glas aus synthetischem, unzerbrechlichem Material, und man muß sich nur noch die Frage stellen, was man der IWC Ingenieur eigentlich noch anhaben kann.
Mit dieser Uhr hat IWC einen Zeitmesser geschaffen, auf den Tausende von Menschen gewartet haben. Alle jene, die bei ihrer täglichen Arbeit starken Magnetfeldern ausgesetzt waren, sind nun der Sorge enthoben, ihre Uhr entweder bei der Arbeit ablegen oder sie später wieder genau einstellen zu müssen. Mit ihrer Widerstandsfähigkeit gegen Magnetfelder von 1000 Gauß/ Oersteds vermag die IWC Ingenieur selbst den hochgestellten Ansprüchen in dieser Richtung zu genügen und man darf dieser hervorragenden Pionierschöpfung der modernen Zeitmessung den Erfolg wünschen, den ihre Konstrukteure mit großer Mühe verdienten.
Helmuth Kühnhanss, Zürich
Der Uhrmacher
Österreichische Uhrmacherzeitung 1. April 1956